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Von assistiert zu autonom – können Autos und Lkw bald fahrerlos navigieren?

Von assistiert zu autonom – können Autos und Lkw bald fahrerlos navigieren?

von Miriam Buchmann

Wohlgeordnet und fahrerlos navigieren Autos und Shuttles in Städten, auf Landstraßen und Autobahnen − unfallfrei und mit entspannt lesenden, chattenden oder plaudernden Insassen.
Und autonome Trucks, Drohnen und Stapler bringen Paletten, Pakete und andere Güter schnell, sicher, günstig und umweltschonend an ihr Ziel.

Wird die Mobilität der Zukunft von autonomen Fahrzeugen geprägt sein? Die Prognosen dazu gehen
teilweise weit auseinander. Während die einen von den vielen Vorteilen einer KI-basierten Mobilität schwärmen, warnen die anderen vor den Risiken, die damit verbunden sind, wichtige Entscheidungen im Straßenverkehr allein Algorithmen anzuvertrauen.

Fahrerlose Fahrzeuge im
Praxistest auf öffentlichen Straßen

Technisch und definitorisch ist der Weg schon vorgezeichnet: Die Society of Automotive Engineers (SAE) hat fünf Automatisierungsgrade auf dem Weg zum autonomen Fahrzeug definiert, die sich weltweit in der Automobilindustrie durchgesetzt haben: assistiert, teilautomatisiert, hochautomatisiert, vollautomatisiert und autonom (siehe unten). Mit den Assistenzsystemen von Stufe 1 ist heute nahezu jedes modernere Auto ausgestattet und mit Funktionen der Stufe 2 sind eine Menge Modelle der
Mittel- und Oberklasse in Serie auf unseren Straßen unterwegs.

Aber auch darüber hinaus tut sich einiges. Erste mit Level-3-Funktionen ausgestattete Fahrzeuge werden
in Serie gefertigt, und technische Bestandteile der Stufe 4 befinden sich bei einigen Automobilherstellern bereits prototypisch im Praxistest oder sollen ebenfalls in Serie gehen. Denn im Mai 2021 hat die Bundesrepublik ein Gesetz beschlossen, das bundesweit den Regelbetrieb von autonomen Fahrzeugen inklusive Level 4 in festgelegten Bereichen im öffentlichen Straßenverkehr regelt. Dazu gehören Shuttles, Busse, Hub2Hub-Verkehre, die Beförderung von Personen und/oder Gütern auf der ersten oder letzten Meile sowie Dual-Mode-Fahrzeuge, die beispielsweise beim Automated Valet Parking (AVP) zum Einsatz kommen.

In Praxistests tauchen jedoch hier und da auch ganz unvorhergesehene Probleme auf. Beispielsweise
stellte sich heraus, dass nicht jede Technik sowohl in Städten und Dörfern als auch auf dem Land einsetzbar ist. So musste ein Modellprojekt mit einem autonom fahrenden Bürgerbus namens Hubi in Röbel in Mecklenburg-Vorpommern vorerst gestoppt werden, weil die Sensorik im Fahrzeug an den Straßenrändern Gebäude zum Abtasten braucht.

Ethische und rechtliche
Fragen

Rein technisch scheint auch Stufe 5, das komplett fahrerlose und vollautonome Fahren, in gar nicht ferner
Zukunft machbar zu sein. Doch für dessen Umsetzung sind allerlei Aspekte zu berücksichtigen, die nicht nur Technik, Verkehr, Sicherheit, Datenschutz und Infrastruktur betreffen, sondern auch gesellschaftliche, psychologische, rechtliche und ethische Fragen in die Diskussion bringen. Dazu gehören beispielsweise
Entscheidungen über Haftung und Schuld sowie ein gesellschaftlich akzeptierter Konsens darüber, wie die Algorithmen, mit denen die KI gefüttert wird, in sogenannten Dilemma-Situationen zu reagieren haben.

Fließender Verkehr statt
Staus und keine Unfälle mehr?

Zu den vielgepriesenen Vorteilen einer autonomen und vernetzten Mobilität gehört ein staufreies
Unterwegssein. Denn zähflüssiger Verkehr und Staus entstehen, wenn nicht durch Baustellen oder Engstellen verursacht, häufig durch Unfälle. Und die wiederum gehen auf Fahrfehler unterschiedlichster Art zurück. Oder sie entstehen durch den sogenannten Ziehharmonika-Effekt, der bei dichtem Verkehr entsteht, wenn verzögerte Reaktionen beim Abbremsen und Beschleunigen den Fluss der hintereinanderher fahrenden Autos ins Stocken geraten lassen.

Während hierbei allzumenschliches Unvermögen zugrunde liegt, wären autonome und vernetzte Pkw
und Lkw in der Lage, miteinander zu kommunizieren und so die Straßen fließend zu nutzen, indem sie platzsparend alle im selben Abstand dicht hintereinander in Kolonne fahren. Und nicht nur das: Zu den Wünschen, die sich mit dem autonomen Fahren verbinden, gehört es auch, die sogenannte Vision Zero wahr zu machen: eine Mobilität ohne Unfälle und vor allem ohne Schwerverletzte und Verkehrstote.
Wie realistisch das ist, ist umstritten.

Keine Suche nach
Parkplätzen mehr

Zu den prognostizierten Annehmlichkeiten des Fahrens mit autonomen Autos und Shuttles gehört es auch, dass die Suche nach einem Parkplatz entfällt und immer weniger parkende Autos die Straßen der Innenstädte säumen. Denn künftig könnten wir einfach dort aussteigen, wo wir hin wollen, und das Auto parkt sich anschließend selbst ein oder fährt weiter zum nächsten Einsatzort. Insbesondere beim Car-Sharing könnten autonome Elektro-Fahrzeuge nahezu durchgängig im Einsatz sein und müssten nur zum Aufladen pausieren.

Bereits jetzt verspricht Automated Valet Parking (AVP) mehr Zeit, Sicherheit und Effizienz, vorerst im Parkhaus. Technisch entsprechend ausgestattete Fahrzeuge werden hier durch eine intelligente Parkhausinfrastruktur zu freien Parklücken geleitet, in die sie sich dann selbst einparken. Die neue S-Klasse von Mercedes-Benz ist das weltweit erste Serienfahrzeug, das mit der Technik für einen künftigen infrastrukturbasierten AVP-Betrieb ausgestattet ist. Pilotparkhaus für dessen Serienbetrieb ist das P6 am Flughafen Stuttgart. 

Aufwertung des Fahrens und
mehr Teilhabe für Mobilitätseingeschränkte

Für viele Menschen bedeutet es Stress, im dichten Straßenverkehr ein Auto zu steuern. Das autonome Auto der Zukunft verspricht dagegen, zu einem entspannenden Aufenthaltsort zu werden, der aktiv für allerlei Aktivitäten nutzbar ist. Mobile Living ist das neue Schlagwort. Vor allem vielen Berufspendlern soll das zugutekommen, die nun, wie auf einer Zugfahrt, im Auto entweder zur Ruhe kommen oder bereits auf dem Arbeitsweg Berufliches erledigen können.

Durch den Wegfall eigener Fahraufgaben gäbe es für autonome Fahrzeuge auch keine Führerscheinpflicht
mehr. Und so wäre es möglich, dass auch Personen mit eingeschränkter Mobilität oder verminderter Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr mit dem Auto unterwegs sein können. Für diesen Personenkreis, der durch den demografischen Wandel immer bedeutsamer werden dürfte, bedeutet das mehr Mobilität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Logistik − autonomes Fahren
in Kolonne

Auch den Lastenverkehr soll die neue Technologie grundlegend verändern. Anwendungsfälle sind beispielsweise der derzeit getestete „Highway Pilot“, der den Lkw auf Autobahnen ohne Eingreifen des Fahrers steuern kann, sowie die Kolonnenfahrt, bei der ein Führungsfahrzeug die Steuerung des gesamten Verbandes übernimmt und mit minimalen Abständen für ein möglichst energieeffizientes Fahren sorgt. Diese neuen Funktionen versprechen auch logistisch mehr Effizienz. Denn autonome Trucks könnten rund um die Uhr unterwegs sein und so mit der gleichen Menge an Lkw mehr Waren transportieren. Somit würde sich möglicherweise die Zahl der Lkw insgesamt reduzieren.

Und der Trucker? Den gibt es noch. Zumindest auf Level 4. Doch er wird zu einer Art Transportmanager. Bei eingeschaltetem Highway Pilot kann er sich während der Fahrt Abrechnungen und anderem Organisatorischem widmen. Gegebenenfalls muss er jedoch ins Geschehen eingreifen können.

Die fünf Stufen auf dem Weg
zum vollautonomen Fahren

Auf Stufe 1 – assistiert:

Einzelne, heute weit verbreitete Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer, ohne dass dies Automatisierung bedeuten würde. Dazu gehören der Tempomat, der automatische Abstandsregeltempomat und der automatische Spurhalteassistent.

Stufe 2 – teilautomatisiert:

Zeitweise und unter definierten Bedingungen ist das Fahrzeug in der Lage, auf der Autobahn die Spur zu halten, zu bremsen und zu beschleunigen. Für den Spurwechsel ist aber der Fahrer selbst zuständig und er muss auch durchweg am Steuer bleiben.

Stufe 3 –hochautomatisiert:

Zeitweise und unter definierten Bedingungen kann das Fahrzeug selbsttätig und ohne menschliches Eingreifen je nach Verkehrssituation überholen, bremsen und beschleunigen. Der Fahrer darf sich derweil anderen Aktivitäten widmen, muss aber jederzeit wieder die Führung übernehmen können. Dazu kann ihn gegebenenfalls auch die KI auffordern. 

Stufe 4 –vollautomatisiert:

In der Regel soll das Fahrzeug auf bestimmten Strecken wie Autobahn oder Parkhaus komplett selbsttätig fahren, sodass der Fahrer zum Passagier wird. Es darf dann auch ohne Insassen fahren. Doch der Fahrer kann noch eingreifen, wenn das System ausfallen sollte. Generell soll aber das
System seine eigenen Grenzen so rechtzeitig erkennen, dass es regelkonform einen sicheren Zustand erreichen kann. Passagiere haften bei vollautomatisierten Fahrten nicht für Verkehrsverstöße oder Schäden.

Stufe 5 – autonom:

Der Pkw wird komplett vom System gesteuert und erledigt alle Aufgaben inklusive komplexer Situationen selbsttätig. Lenkrad und Gaspedal werden nicht mehr gebraucht, denn es gibt gar keinen Fahrer mehr, sondern nur noch Passagiere. Auch Fahrten ganz ohne Insassen sind möglich.

Schrittweise Integration
von autonomen Features?

Vollständig autonom in sämtlichen Verkehrssituationen werden einige Fahrzeuge Prognosen zufolge rein technisch eventuell in etwa zehn Jahren fahren können. Ob sich bis dahin jedoch auch sämtliche gesellschaftlichen, psychologischen, rechtlichen und ethischen Fragen zufriedenstellend klären lassen, wird sich zeigen. Vermutlich werden sich auf dem Weg dahin die neuen technologischen Features wie bislang auch nach und nach weiter in unseren Alltag integrieren.

 

Bildnachweis: Mercedes-Benz Group