Klimaneutrale Seefahrt – wie sind Passagiere und Fracht künftig mit Schiffen unterwegs?
von Miriam Buchmann
Über den Weltmeeren sieht man gigantische Flugdrachen in luftiger Höhe, die
vollbeladene Containerschiffe leise und emissionsfrei ziehen. Auch schwimmende
Städte gleiten leise und emissionsfrei an Inseln und Bergen vorüber. Sie
kreuzen Frachter, die mit Wasserstoff, Ammoniak oder Methanol betankt wurden.
Und auf den Binnenwasserstraßen tummeln sich lautlos solarbetriebene Fähren,
Ausflugsdampfer und Binnenfrachter.
So oder ähnlich sind die Zukunftsvisionen für eine umweltfreundlichere
Schifffahrt. Angedacht, in der Entwicklung oder auch schon im Betrieb ist so
einiges, um den Schiffsverkehr klimaneutral zu machen – doch auch mit
mittlerweile verschärften Umweltauflagen sehen viele Experten eine echte
maritime Transformation hin zu klimaneutralen Reisen und Transporten auf See
erst ab 2030 oder auch 2050.
Tourismus und Warenverkehr verursachen CO2, Schwefeldioxid, Feinstaub und Ruß
Containerschiffe, Tanker, Fähren, Schlepper und Kreuzfahrtschiffe – laut
Umweltbundesamt sind zusätzlich zu Fischereischiffen über 90.000 Schiffe ganz
unterschiedlicher Größe auf den Weltmeeren unterwegs. Rund 90 Prozent des
weltweiten und die Hälfte des EU-Warenverkehrs findet auf dem Seeweg statt.
Hinzu kommen Binnenfrachter. Bei nur rund 12 Prozent der aktuellen
Neubestellungen von Schiffen handelt es sich um Modelle mit alternativem
Treibstoffsystem. Die meisten Handelsschiffe nutzen noch immer ein Gemisch aus
Schweröl und Diesel, das billig, aber extrem giftig ist, weil bei der
Verbrennung neben CO2 auch große Mengen an
Schwefeloxid, Feinstaub, Stickoxiden und Ruß entstehen. Auch wenn eine neue
weltweite Verordnung für Seeschiffe mittlerweile Treibstoffe mit maximal 0,5
Prozent Schwefel vorschreibt, gibt es noch viele Ausnahmen. Und Ruß gilt als
der zweitstärkste Klimakiller nach CO2.
Und dann ist da noch der Tourismus. Ein einziges Kreuzfahrtschiff
beispielsweise stößt laut Berechnungen des NABU pro Tag so viel CO2 aus wie fast 84.000 Autos, so viel
Stickoxide wie etwa 421.000 Autos, so viel Feinstaub wie etwa über eine Million
Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut 376 Millionen Autos. Und das 365 Tage
im Jahr, auch in den Häfen, denn eine Versorgung mit Landstrom ist noch selten.
Einfache Maßnahmen: Partikelfilter und langsameres Fahren
Technisch gibt es für eine klimaneutrale Mobilität der Zukunft auf dem
Wasser zahlreiche Ansätze und Ideen – wie Flüssiggas (LNG), Wasserstoff,
Ammoniak, Methanol, elektrische Energie, Bio-Sprit oder E-Fuels. Und natürlich
Hybride daraus. Was Klimaneutralität, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit
angeht, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt jedoch noch nicht absehen, welche
Technologien sich wofür durchsetzen werden.
Doch auch abseits alternativer Antriebe und Kraftstoffe können einige
Maßnahmen wirksam dazu beitragen, den Klimawandel aufzuhalten: Schiffe könnten
zusätzlich weltweit mit Partikelfiltern und Katalysatoren ausgestattet werden,
sie könnten langsamer fahren und dadurch ihren Treibstoffverbrauch halbieren.
Und viele weite Handelswege ließen sich über mehr regionale Versorgung auch
ganz einsparen.
LNG als Brückentechnologie?
Bereits verfügbar und im Einsatz ist der alternative Kraftstoff LNG (Liquid
Natural Gas), bislang vor allem bei Tankern, die damit Teile ihrer eigenen
Ladung verbrennen. Auch wenn der Wirkungsgrad niedriger und die Tanks so groß
sind, dass weniger geladen werden kann, gilt das Flüssiggas vielversprechend
als Brückentechnologie. Denn es setzt bei der Verbrennung weniger CO2 und Schadstoffe als Schweröl oder Diesel
frei und reduziert so die Belastung mit Abgasen stark, auch in Hafenstädten.
Mit zunehmenden Umweltauflagen ist die Hoffnung verbunden, dass immer mehr
Reedereien auf Antriebe mit Flüssiggas umrüsten. Nicht nur im Frachtbereich.
Als erstes Kreuzfahrtschiff der Welt fährt die „Aida Nova“ mit LNG. Momentan
werden allerdings erst sehr wenige Schiffe mit LNG-Antrieb gefertigt. Und die
Infrastruktur für die Betankung ist noch rudimentär.
Doch LNG ist ein fossiler Kraftstoff. Zudem ist durch eine Studie des
International Council on Clean Transportation (ICCT) erst einmal ungewiss, ob
die Klimabilanz von LNG langfristig wirklich besser ist als die von
Schiffsdiesel. Grund ist der sogenannte Methanschlupf: Bereits aus winzigen
Lecks in Leitungen und Tanks können unbeabsichtigt größere Mengen an extrem
klimaschädlichem Methan entweichen. Das gilt auch für Biomethan.
Bio-Sprit und E-Fuels
Mit Biokraftstoffen aus Abfall- und Reststoffen wie Gülle oder Stroh im
Tank zu fahren, ist für viele Reedereien als Zukunftsaussicht attraktiv, weil
Biosprit sich einfach alternativ zum bisherigen Schiffsdiesel tanken lässt. Denn
er hat ähnliche physikalische Eigenschaften. Zudem emittieren Kraftstoffe aus
Biomasse um bis zu 30 Prozent weniger CO2 und auch weniger Ruß und andere Schadstoffe. Die
Technologie dafür ist bereits marktreif. 2019 fuhr das erste Binnenschiff mit
Bio-Kraftstoff im Tank.
Auch mit synthetischen Kraftstoffen aus regenerativen Energien und
Wasserstoff soll es möglich werden, dass Schiffe klimaneutral fahren,
beispielsweise mit grünem SNG (Synthetic Natural Gas). Zu den Vorteilen gehört,
dass schon jetzt prinzipiell jedes Schiff mit LNG-Motor auch E-Fuels tanken
kann. 2021 fuhr das weltweit erste Containerschiff mit synthetischem
Schiffskraftstoff im Tank.
Bei Produktion und Verbrennung entsteht zwar kein CO2, nachteilig ist aber, dass stattdessen
noch sehr viel klimaschädlicheres Methan entsteht. Zudem ist extrem viel Strom
erforderlich, um für die Produktion von E-Fuels zunächst Wasserstoff und
anschließend synthetisches Flüssiggas zu gewinnen.
Brennstoffzellen mit Methanol, Ammoniak und Wasserstoff für Containerschiffe auf hoher See
Insbesondere mit Brennstoffzellen, die mit grünem Wasserstoff, Methanol
oder Ammoniak betrieben werden, sind große Hoffnungen verbunden, den
Schiffsverkehr auf hoher See bis 2050 klimaneutral zu machen. Weltweit werden
Technologien dafür entwickelt, auf unterschiedlichem Entwicklungsstand, mit
unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Weil derzeit nicht absehbar ist, welche
dieser Technologien sich am besten vor allem für die Containerschifffahrt auf
hoher See eignen wird, plädieren einige Experten dafür, Schiffsmotoren künftig
so zu bauen, dass sie flexibel umgerüstet werden können.
Mittelfristig sehen Experten eine realistische Option darin, komprimierten
oder verflüssigten Wasserstoff in Brennstoffzellen auf Kurzstrecken im Seeverkehr
einzusetzen. Und auch im Binnenverkehr zeichnen sich erste Perspektiven ab, wie
beispielsweise ein mit Brennstoffzellen betriebenes Binnenschiff der TU Berlin,
das aufgrund von austauschbaren gasförmigen Wasserstoffpaketen nicht einmal
Tankstellen benötigen soll. Das Beratungs- und Klassifizierungsunternehmens DNV
GL prognostiziert, dass Ammoniak und Methanol langfristig immer relevanter
werden dürften.
Batteriebetriebene Elektro-Schiffe – erst einmal Kurzstrecken mit Fähren
und Ausflugsbooten
Trotz großer Hoffnungen in eine baldige Elektrifizierung der gesamten
Schifffahrt scheinen bei großen Containerschiffen auf hoher See rein
elektrische Antriebe noch in weiter Ferne zu liegen. Grund sind die Batterien.
Denn sie sind noch nicht effizient genug und außerdem zu schwer für Schiffe,
die sehr lange Strecken ohne Halt an Häfen zurücklegen müssen.
Auf Kurzstrecken dagegen eignen sie sich schon heute, da dort kleinere
Batterien ausreichen, beispielsweise bei Fähren und Ausflugsbooten in der
Binnenschifffahrt. Als erste Reederei in Deutschland fährt beispielsweise die
Berliner Reederei Stern + Kreisschifffahrt bereits ausschließlich mit
solar-elektrisch betriebenen Fahrgastschiffen. Und seit Sommer 2021 bringt in
Rostock eine Elektro-Solar-Personenfähre Pendler und Ausflugsgäste lautlos ans
andere Ufer. Gebaut wurde sie von der Stralsunder Ostseestaal GmbH & Co.
KG, die bereits etliche Elektro-Solarschiffe für verschiedene Einsatzfälle
gebaut hat, darunter „Sankta Maria II“, die weltweit erste vollelektrische Autofähre
für Binnengewässer.
Windenergie – Segel, Zugdrachen und Magnus-Effekt
Naheliegend für Schiffe auf hoher See ist es auch, wie in alten Zeiten den
Wind als Energiequelle zu nutzen. Da gibt es zum einen die schon auf dem Kieler
Frachter „E-Ship 1“ umgesetzte Idee, den sogenannten Magnus-Effekt zu nutzen,
um damit auf langen Strecken 30 bis 50 Prozent Sprit zu sparen. Hierbei wird
durch vier haushohe rotierende Zylinder, sogenannte Turbosegel, ein Unterdruck
erzeugt, der das Schiff vorwärts zieht.
Experimentiert wird auch mit großen zusätzlichen Segeln oder riesigen
Zugdrachen in rund 500 Meter Höhe, die den motorisierten Antrieb unterstützen
und so Treibstoff sparen können. Die Umrüstung von Containerschiffen scheint
allerdings kompliziert und der Betrieb personalaufwändig zu sein. Doch erste
Schiffe sind bereits mit dieser Technik ausgerüstet. Vielleicht wird man
demnächst mehr davon sichten?
Energiemix – technologieoffen die vielfältigen Optionen effizient einsetzen
Von heute auf morgen wird die Schifffahrt wohl nicht klimafreundlich
werden. Wahrscheinlich ist ein allmählicher
Übergang auf nicht-fossile Brennstoffe bis 2050. Da noch nicht absehbar
ist, welche Technologien sich längerfristig durchsetzen werden, scheint es
notwendig zu sein, sämtliche klimafreundlichen Antriebe technologieoffen
weiterzuentwickeln und sie kurz- und mittelfristig so effizient einzusetzen,
dass alles zusammenwirkt, um eine maritime Energiewende zu erreichen.
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